Erklärung von 12 SPD Bundestagsabgeordneten zur FehrmannbeltquerungTimmendorfer Strand / Ostholstein / Berlin - Zur abschließenden Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 03.09.2008 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über eine Feste Fehmarnbeltquerung
erklären die Abgeordneten Bettina Hagedorn, Dr. Margrit Wetzel, Dr. Wolfgang Wodarg, Christian Kleiminger, Monika Griefahn, Hermann Scheer, Iris Hoffmann, Gabriele Hiller-Ohm, Detlef Müller, Dirk Manzewski, Lale Akgün, Brunhilde Irber, Martin Burkert:

Am 18. Juni 2009 wird der Deutsche Bundestag abschließend über o.g. Vertrag abstimmen.
Wir lehnen eine Abstimmung zum jetzigen Zeitpunkt ab und werden dem Gesetz deshalb nicht zustimmen. Der Vertrag soll in Deutschland noch vor der parlamentarischen Sommerpause beraten werden. Für eine derart kurzfristige Entscheidung besteht weder eine gesetzgeberische Notwendigkeit, noch liegen laut Bundesrechnungshofbericht vom 30. April 2009 alle dafür notwendigen Kosten und Informationen als Entscheidungsgrundlage vor.
In Artikel 23 Abs. 4 des Staatsvertrags heißt es: "Um sicher zu stellen, dass die Feste Fehmarnbeltquerung so bald wie möglich zur Nutzung fertig gestellt werden kann nach Artikel1, werden die Vertragsstaaten diesen Vertrag nach Maßgabe des jeweils geltenden innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten vorläufig anwenden." Vorläufige Untersuchungen wurden von Dänemark und Deutschland seitdem bereits beauftragt und können auch ohne Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag ungehindert fortgeführt werden - eine Verschiebung der Abstimmung gefährdet das Projekt in keinster Weise, sondern ist dem Respekt der Abgeordneten und ihrem Anspruch auf eine begründete Abstimmung in Kenntnis der wichtigen Grundlagen geschuldet. Der Verweis auf die in Dänemark bereits erfolgte Abstimmung ist irreführend: Dort wurde im März 2009 im Parlament zunächst nur ein Planungsgesetz verabschiedet und erst später – nach Vorlage der konkreten Zahlen und Fakten – wird ein Baugesetz verabschiedet. In Deutschland jedoch entscheidet das Parlament nur einmal – und kann die Entwicklung danach grundsätzlich nicht mehr beeinflussen. Wir halten eine Abstimmung noch vor der Sommerpause für unverantwortlich. Wesentliche Kritikpunkte und Risiken v.a. finanzieller Natur hat der Bundesrechnungshof (BRH) in seinem Bericht vom 30. April 2009 dargestellt. Diese werden wir im Folgenden beispielhaft zusammenfassen.

1. Der Staatsvertrag verpflichtet Deutschland, die Hinterlandanbindung mit kalkulierten Gesamtkosten von 840 Mio. Euro zu bauen. Ob diese Zahl realistisch ist, musste schon im September 2008 bezweifelt werden, als der "Bericht zur Preisentwicklung bei Großbauprojekten des Bundes" aus dem Bundesverkehrsministerium Kostensteigerungen bei Großprojekten von 60% bis 100% in den letzten drei Jahren offenbarte. Die der Kostenkalkulation für die Feste Fehmarnbeltquerung zugrunde liegenden Zahlen stammen aber aus dem Jahr 2002. Der BRH dazu: "Unter Einrechnung der vom Bundesministerium selbst erwarteten Kostensteigerung von mindestens 60% ergeben sich Projektkosten (Anm.: für die Schienenhinterlandanbindung) von rd. 1,7 Mrd. Euro."

2. Weitere Risiken sieht der BRH darin, dass durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zusätzliche Kosten entstehen können: "Obwohl die Kosten für die Feste Verbindung als solche nach dem Staatsvertrag allein von Dänemark zu tragen sind, birgt dieser Vertrag erhebliche Unsicherheiten für künftige Bundeshaushalte. So enthält er Klauseln, welche die Vertragsparteien unter nur unpräzise formulierten Voraussetzungen zu Nachverhandlungen – auch über die Kostentragung – verpflichtet."

3. Erst im Juni 2008 wurde mit der Planung der Schienenhinterlandanbindung begonnen, eine Vorplanung wird voraussichtlich Ende 2009/Anfang 2010 vorliegen. BRH dazu: "Ohne eine Festlegung der genauen Streckenführung und der zugehörigen Kosten geht der Bund durch den unterzeichneten Staatsvertrag nicht kalkulierte Verpflichtungen ein." Darüber hinaus fehlt eine verbindliche Vereinbarung mit der Deutschen Bahn über den Ausbau der Hinterlandanbindung: "Der Bund verpflichtet sich im Staatsvertrag zum Ausbau der Hinterlandanbindung, ohne dass die DB Netz AG an den Staatsvertrag oder in einer Finanzierungsvereinbarung an dessen Ziele gebunden ist. Deshalb ist zu befürchten, dass die DB Netz AG aufgrund ihres geringen Eigeninteresses künftig weitere finanzielle Zugeständnisse vom Bund einfordern wird."

4. Zur mangelhaften Einbindung der Parlamentarier auf deutscher Seite resümiert der Bericht: "Der Bundesrechnungshof hält die Art der Darstellung der Kosten gegenüber dem Parlament für nicht angemessen. Diese Vorgehensweise des Bundesministeriums (Anm.: für Verkehr) wird weder der Bedeutung dieses internationalen Vorhabens noch dem Anspruch an eine transparente Information des Gesetzgebers gerecht." Und weiter: "Der Bundesrechnungshof hält abschließend daran fest, dass eine transparente aktuelle Information des Parlaments über die aus jetziger Sicht zu erwartenden finanziellen Belastungen geboten ist."


Neben den haushalterischen Risiken sehen wir auch große Gefahren für jeweils über 600 Arbeitsplätze beim Fährunternehmen Scandlines in Puttgarden und Mecklenburg-Vorpommern. Zurzeit verkehrt im Fehmarnbelt eine „schwimmende Brücke“ zuverlässig im halbstündigen Takt – die Fähren sind nur zu 40 Prozent ausgelastet und verfügen noch über große Kapazitäten. Nicht auszugleichende Gefahren entstehen durch die geplante 19 km lange
Brücke für die Schiffssicherheit auf der Ostsee und für die Umwelt. Wir halten den Bau einer Brücke mit 70 Betonpfeilern in einer der mit 66.000 Schiffsbewegungen meist befahrenen Wasserstraßen der Welt aus Gründen der Schiffssicherheit für unverantwortlich, zumal ein Großteil der Schiffe Einhüllentanker sind, die Öl aus Kaliningrad transportieren und deren Kollisionsrisiko mit der Brücke ein unverantwortliches Risiko nicht nur für die Ostseestrände und den Tourismus darstellt. Eine Brücke würde den für die Ostsee lebenswichtigen Sauerstoffaustausch weiter behindern, Fischbestände und die letzten knapp 1.000 Schweinswale, die im Fehmarnbelt ihre „Kinderstube“ haben, sowie Millionen Wasservögel auf der „Vogelfluglinie“ gefährden. Einige dieser Probleme könnten durch den Bau eines Tunnels statt einer Brücke zumindest gemildert werden – aber Dänemark entscheidet erst in ca. 2 Jahren, ob die Querung in Form einer favorisierten Brücke oder eines – mindestens 1,2 Mrd. Euro teureren - Tunnels erfolgen soll. Aktuell verkehren auf dieser Strecke ca. 6000 Fahrzeuge
täglich, Verkehrsprognosen gehen für 2025 von ca. 10.500 Fahrzeugen aus – eine Zahl, für die in Deutschland üblicherweise nicht einmal eine Ortsumgehung gebaut wird.

Ohne ausreichende Kenntnis der Kosten, des Designs und der Risiken können wir eine Ratifizierung des Staatsvertrags zum jetzigen Zeitpunkt nicht verantworten.